Isaac Liu, Geislingen

Wer ist ein Vater?

Obwohl er seinen Vater erst mit fünf Jahren kennen lernte, wurde er ihm zum Vorbild für den himmlischen Vater.



Isaac Liu, geboren 1984, aufgewachsen in China, Burma und Deutschland. Ausbildung: 2 Jahre in der chinesischen Baptistischen Bibelschule in Burma, 2002-2007 Theologisches Seminar Beröa in Erzhausen. Vikar in der Volksmission, Gemeinde Geislingen, Mitarbeiter von AVC und Deutschübersetzer für seinen Vater, PastorYun, bekannt geworden als ?Himmelsbürger?
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Eines Tages betete mein Vater: „Herr, bitte schenk mir einen Sohn, der auch das Evangelium predigt.“ Aber die chinesische kommunistische Regierung wollte nicht, dass mein Vater einen Sohn bekam. In China sagt man: „Wenn der Vater ein Bauer ist, dann wird der Sohn auch ein Bauer; aber wenn ein Prediger einen Sohn bekommt, dann hat das Land noch mehr Probleme.“ Damals wurde mein Vater überall steckbrieflich mit Plakaten gesucht. Kurz nachdem meine Mutter schwanger geworden war, wurde er verhaftet.
 
Regierungsbesuch
Meine Mutter war gerade im siebten Monat schwanger, als Polizisten von der Behörde für Familienplanung zu uns nach Hause kamen und sagten: „Das Baby soll nicht auf die Welt kommen und muss abgetrieben werden, weil der Vater einer der leitenden Prediger in der Untergrundkirchengemeinde ist und nie aus dem Gefängnis herauskommen wird.“ Der Abtreibungstermin wurde auf zwei Tage später gelegt. Meine Mutter bekam schreckliche Angst und betete: „Herr, wenn dieses Kind unter deinem Schutz zur Welt kommt, werde ich es dir anvertrauen.“ Gott erhörte ihr Gebet. Einen Tag vor dem Abtreibungstermin kam ich als gesegnetes und gesundes Kind zur Welt. Während der Geburt hatte meine Mutter nicht den geringsten Schmerz verspürt. Gott ist mein Vater, weil er mir das Leben gegeben und es beschützt hat.
 
Der erste Brief von meinem Vater
Als mein Vater erfuhr, dass er einen Sohn bekommen hatte, schrieb er mir den ersten Brief in meinem Leben: „Mein geliebter Sohn Isaac. Als du geboren wurdest, saß dein Vater im Gefängnis, weil er an Jesus glaubte. Mein Sohn, ich weiß nicht, ob ich dich jemals sehen werde. Die Menschen wünschen ihren Kindern im allgemeinen Erfolg. Aber dein Vater wünscht dir nur, dass du dem Herrn Jesus nachfolgst und ihn lieb hast. Isaac, vertraue und gehorche dem Herrn alle Zeit, dann wirst du zu einem Mann Gottes heranwachsen. Bis zum Wiedersehen im Himmel. Dein Vater.“
 
Was ist ein Vater?
Als ich fünf Jahre alt war, weckte meine Mutter mich nachts mit den Worten: „Isaac, wach auf, dein Vater ist nach Hause gekommen!“ Ich fragte: „Mutter, was ist das?“ In der Schule und auch in der Familie hatte ich gehört, was ein Vater sein könnte, aber die genaue Bedeutung kannte ich nicht. Im Hof draußen sah ich einen Mann. „Wer ist das?“, fragte ich mich. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Darum versteckte ich mich hinter meiner Mutter, und zu dem Mann im Hof sagte ich kein Wort. Ich konnte doch nicht irgendjemanden Vater nennen, den ich überhaupt nicht kannte!
In meiner Kindheit habe ich meinen Vater sehr vermisst. Im Kindergarten wurde ich oft ausgelacht, weil ich keinen Vater hatte. Aber mein leiblicher Vater hat mir dann den himmlischen Vater vorgelebt. Ich habe Gott in mein Leben aufgenommen und seitdem liebe ich ihn sehr. Paulus schreibt: „Ihr habt einen Geist der Sohnschaft empfangen, so dass wir ihn Abba, Vater, rufen dürfen.“ [1] Ich schätze von ganzem Herzen diese Sohnschaft in Gott und den kostbaren „Abba Vater“ und lernte meinen leiblichen Vater zu ehren und zu lieben.
                                                          
Polizisten müssen auch schlafen
Meine Großmutter war eine leidenschaftliche Christin. Schon als Kleinkind wurde ich von ihr auf dem Rücken zu Gottesdiensten geschleppt und erlebte durch sie die unfassbare Liebe des himmlischen Vaters. Als ich acht Jahre alt wurde, beschloss ich, mich mitten im Winter nachts in einem eiskalten Fluss taufen zu lassen. Die Ältesten der Gemeinde sagten: „Polizisten sind keine Maschinen, sie müssen auch irgendwann schlafen. Und wenn sie schlafen, dann machen wir unsere Arbeit.“ So wurde ich mit 35 anderen Gläubigen zusammen getauft.
 
Chinesische pastorale Erziehung
Mit zehn Jahren fing ich an, die Bibel auswendig zu lernen. Wenn mein Vater nach Hause kam, musste ich ihm immer mindestens ein Kapitel der Bibel auswendig aufsagen. Als Kind fand ich das ziemlich brutal. Aber heute bin ich meinem Vater sehr dankbar, dass er mir das Wichtigste im Leben beigebracht hat. Als ich elf wurde, schickte mein Vater mich in ein kleines Dorf. Ich sollte dort predigen. Das ist nämlich die chinesische pastorale Erziehung, dass der Vater seine Kinder lehrt, Gottes Wort auswendig zu lernen und es weiter zu sagen. Als die Polizisten plötzlich mit Gewalt die Versammlung sprengten und nach dem Anführer schrieen, glaubte keiner von ihnen, dass ein Kind bereits predigen könnte. Ich bekam große Angst, weil ich genau wusste, wie mein Vater im Gefängnis von den Polizisten behandelt wurde. Ich betete: „Herr, wenn du wirklich etwas mit mir vorhast und meinen Glauben prüfen willst, dann warte bitte noch ein bisschen, wenigstens bis ich über 18 bin.“ Gott erhörte mein Gebet. Die Polizisten schickten mich weg mit den Worten: „Geh raus Kind! Was machst du hier? Geh zu deiner Mutter.“ Gottes Wege sind einfach unerforschlich.
 
Zwei Jahre auf der Straße
Dann wurde mein Vater zum dritten Mal verhaftet. Ein paar Tage später kam auch meine Mutter ins Gefängnis. Damals war ich 12 und meine Schwester 7 Jahre alt. Die Gemeinden am Ort hatten Angst uns aufzunehmen, weil die Polizei uns überall suchte. Wir wurden deshalb von der Gemeinde in eine andere Stadt gebracht. Dort nannten wir Menschen, die wir vorher gar nicht kannten, „Vater“ und „Mutter“, damit niemand etwas merkte. Zwei Jahre lang war ich oft auf der Strasse und suchte in Müllhalden nach Verwertbarem, um etwas zu verkaufen und mir und meiner Schwester etwas kaufen zu können. In dieser Zeit habe ich Gott oft gehasst, weil ich ihn überhaupt nicht verstand. Ich fragte ihn: „Warum lässt du das alles zu? Meine Großeltern haben an dich geglaubt. Sie wurden durch die Strassen gezerrt und verspottet. Meine Eltern haben an dich geglaubt. Sie wurden immer wieder verhaftet und für viele Jahre verurteilt. Meine Schwester und ich haben auch an dich geglaubt, jetzt haben wir unser Zuhause und unsere Eltern verloren! Jesus, welcher Gott bist du denn?“ Warum sollte ich an diesen Gott glauben, der mir alles nahm? Mein Herz wurde bitter. Damals habe ich Gott gesagt: „Wenn ich groß bin, werde ich alles machen, aber niemals das, was mein Vater tut.“ Aber dann begriff ich: So wie ein Vater sich um seine Kinder kümmert, kümmert Gott sich um uns. Wir hassen ihn, aber er hasst uns nicht. Wir mögen ihn manchmal nicht so sehr, aber er liebt uns die ganze Zeit. Gott ist treu, und geduldig. Es tut so gut, ihn als Vater im Leben zu haben.
 
Die Flucht
Nachdem meine Mutter aus dem Gefängnis entlassen worden war, flüchtete meine Familie ohne meinen Vater nach Burma. Dort lebten wir zwei Jahre lang. Inzwischen hatte Gott meinen Vater auf unerklärliche Weise aus dem Hochsicherheitsgefängnis herausgeholt. Er floh nach Deutschland. Um ihm nachzureisen, mussten wir aber erst nach Thailand kommen, wo das internationale „Aktionskomitee für verfolgte Christen“ (AVC) uns deutsche Asylpässe besorgt hatte. Unter der Begleitung eines Pastors reiste ich aus. Als ich ins Grenzgebiet kam, brach in dieser Gegend ein Krieg zwischen Thailand und Burma aus. Mitten durch Gewehrfeuer hindurch und mit einem kleinen Boot erreichte ich das Ufer Thailands, wo mir mein Asylpass ausgehändigt wurde.
Gleichzeitig waren meine Mutter und meine Schwester nächtelang durch die Dunkelheit barfuss geflüchtet und hatten es geschafft, auch nach Thailand zu kommen, was eigentlich unmöglich schien. Ich traf sie in Bangkok wieder. Einer der Chefpolizisten sagte zu uns: „Das ist unfassbar, dass ihr es geschafft habt, hierher zu kommen.“
 
 
Ankunft in Deutschland
Im Frühling 2001, eines Abends um 21:30 Uhr landete meine Familie in Frankfurt auf dem Flughafen. In dieser Nacht haben wir sehr gut geschlafen, nachdem wir so lange immer nur unterwegs gewesen waren. Jahre zuvor hatte meine Mutter gebetet: „Herr, du kannst alles machen aus meinem Sohn, aber bitte keinen Pastor.“ Nun betete ich genauso: „Herr, ich werde dein Kind sein, aber dein Diener will ich nicht werden. Ich will nicht, dass meine Frau 14 Jahre lang auf mich warten muss, weil ich im Gefängnis bin, so wie meine Mutter. Ich will auch nicht, dass meine Kinder hin und her geschleppt werden, zehn Mal die Schule wechseln, jedes zweite Jahr in eine neue Stadt ziehen und jedes vierte Jahr eine neue Sprache oder einen neuen Dialekt lernen müssen. Ich will unbedingt Kaufmann werden und auf keinen Fall Pastor.“
 
Auf dem guten Weg
Der Herr ist der, der war, der ist und der kommt. Er hat den besten Plan für mein Leben. Er hat mich dann doch in eine theologische Ausbildung geführt. Im August 2007 feierte ich mit dankbarem Herzen und sprachlosem Staunen zusammen mit meinem leiblichen Vater und dem himmlischen Vater meinen Abschluss. Jetzt bin ich Vikar und freue mich auf meine Ordination. Nebenbei begleite ich meinen Vater auf seinem Reisedienst als Übersetzer. Es ist schön, mit meinem Vater im Auftrag des himmlischen Vaters unterwegs zu ihm zu sein. Die verlorene Kindheit mit meinem Vater kann nicht mehr zurückgeholt werden, aber jetzt fügt Gott uns auf seine wunderbare Weise zusammen.


[1] Römerbrief, Kap. 8,15


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