Kompetenz und Image alleine genügen nicht mehr. Charakter und Werte sind gefragt. Arbeiten mit „ethischer Intelligenz“.
Hatte ich mich verhört? Der Chef eines mittelständischen Unternehmens hatte mich angesprochen und gesagt, ihm sei bewusst geworden ist, dass eines der Hauptprobleme seiner Firma und ein absolut unnützer Kostenfaktor schwere charakterliche Defizite seiner Mitarbeiter seien. Er fragte, ob ich ihm denn helfen könnte, seine Mitarbeiter zu verändern, denn so wolle er nicht mehr weitermachen. – Ein Einzelfall? – Weit gefehlt!
Warum er gerade mich fragte?
Ich bin drei Tage in der Woche irgendwo in Europa unterwegs und meine Aufgabe ist die Beratung, Begleitung und Ausbildung von Führungskräften. Dabei berate ich sie besonders bei strategischen Fragen der Unternehmensführung und der Personalentwicklung. In den letzten Jahren hat für mich ein unerwarteter Wandel eingesetzt. Während vor einigen Jahren stärker die Frage war, wer kann sich gut darstellen und souverän auftreten, wer ist gut qualifiziert, scheint neuerdings ein anderer wesentlicher Aspekt deutlich in den Vordergrund zu rücken. Es geht nicht nur um Kompetenz und Souveränität, es geht auch darum, Mitarbeiter zu finden, die ethisch verantwortungsvoll handeln, bei denen Charakter und Kompetenz im Einklang miteinander stehen.
Image statt Charakter?
Ein bekannter internationaler Managementautor und -berater durchsuchte die gesamte Erfolgsliteratur der letzten 50 – 100 Jahre: Worauf kommt es an, wenn man eine erfolgreiche Führungskraft sein will? Interessant ist, dass man sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sehr einig war: Es kommt auf den Charakter und die Kompetenz an. Man muss als Führungskraft Vorbild sein – und zwar sowohl im Hinblick auf Können, als auch im Hinblick auf das Sein. In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzte eine andere Bewegung ein. Diese meinte, sie müssen gar nicht mehr charakterstark sein, ihr Image muss nur gut genug sein. Das würde alles andere ersetzen. Image statt Charakter!
Charakter gewinnt
Für mich war es spannend, selbst einmal Publikationen zum Thema Charakter und Tugenden zu suchen und dabei festzustellen, dass es bis Mitte der 60er Jahre etliches an Literatur gab, dann folgten einige Jahrzehnte, in denen fast nichts mehr zu diesem Bereich publiziert wurde. Sie können in entsprechenden Verzeichnissen die Titel hierzu fast an einer Hand abzählen. Um so überraschender ist es, dass gerade in den letzten zehn Jahren sowohl in den Diskussionen als auch in der Literatur wieder ganz deutlich wird: „Kompetenz & Image“ alleine ist nicht tragfähig! Wenn das Ganze nicht gedeckt ist durch einen entsprechenden Charakter, droht Führungskräften eine dramatisch eingeschränkte Wirksamkeit!
Authentisch führen
Aus der modernen Kommunikationswissenschaft wissen wir, dass ein Mensch zu 56 % durch seine Körpersprache, zu 36 % durch seinen Tonfall und nur zu 8 % durch seine Worte kommuniziert. Menschen beobachten Sie genau. Sie „lesen“ Sie und Ihre Reaktionen. Wenn das, was Sie von anderen verlangen, nicht gedeckt ist durch einen authentischen Lebensstil, verpufft die Wirkung Ihrer Worte schnell.
Ich durfte in den letzten Jahren einige Führungskräfte begleiten, welche die besten und teuersten Seminare besucht hatten, hochkompetent waren, aber dabei übersehen hatten, dass Wachsen an Wissen und Kompetenz nur ein Aspekt ist. Die spannende Frage bleibt: Wo und wie arbeiten diese Führungskräfte an ihrer charakterlichen Bildung? Mit anderen Worten ausgedrückt, um wirklich wirksam zu sein, ist es wichtig, werteorientiert, wert-voll zu arbeiten mit ethischer Intelligenz.
Was ist ethische Intelligenz?
Wir unterscheiden 4 Stufen von ethischer Intelligenz:
- Erkennen und Anerkennen, dass ethisches Verhalten ein wichtiger, mit entscheidender Faktor für persönlichen, zwischenmenschlichen, unternehmerischen und gesellschaftlichen Erfolg ist. Es geht darum, wieder neu sensibel dafür zu werden, dass mein charakterliches Verhalten nicht egal ist, sondern immer eine Wirkung hat – positiv wie negativ.
- Erkennen, Kennen und Verstehen wesentlicher Prinzipien, Werte, Tugenden und Überzeugungen.
- Bewusstes Streben und Üben, diese Prinzipien als Handlungsmaßstab für das persönliche Planen und Verhalten im Alltag mit einzubeziehen.
- Ein sensibles und nachhaltiges Prägen „wertvollen Verhaltens“ im eigenen Umfeld. - Ethische Intelligenz multiplizieren.
Hier geht es natürlich um das bewusste bzw. unbewusste Erkennen und Kennen wesentlicher Prinzipien und Tugenden. Das erfordert zunächst einmal wieder ein Nachdenken darüber, einen Bewusstseinsprozess; und in der Folge auch ein zunehmendes Verstehen und Erfülltsein. – An dieser Stelle wäre es spannend, über wichtige Tugenden nachzudenken, ich möchte es hier aber bei einer (unvollständigen) Liste belassen: Ehrlichkeit, Geduld, Gerechtigkeit, Respekt und Achtung, Treue, dienende Grundhaltung, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Mut, Bescheidenheit, …
Tugenden prägen
Je mehr ich für mich selber die Bedeutung der Tugenden im persönlichen Leben entdecke, desto mehr bin ich fasziniert von deren Schönheit und Bedeutsamkeit. Wenn wir anders leben, wundert es mich nicht mehr, dass wir kein Leben in Fülle erfahren, wie Jesus es uns verheißen hat. Es gilt, Schritt für Schritt diese Dinge in unser Leben und unseren Alltag zu integrieren und als konkreten Handlungsmaßstab für Planen, Denken, Entscheiden und Leben zu praktizieren.
Das was ich bin, schreit lauter als das, was ich sage. Wenn ich mich als Führungskraft bewusst an solchen Maßstäben orientiere – ob ich darüber rede oder nicht, ist eine ganz andere Sache – dann präge ich dadurch mein Umfeld. Um so mehr werde ich aber auch sensibel für die zerstörerische Wirkung von Untugenden. Diese kosten nämlich richtig Zeit, Geld und Kraft.
Vertrauen zählt
Erlauben sie mir die kurze These: Ein tugendhaftes Leben macht zufrieden, macht glücklich, ist die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und schafft Vertrauen. Vertrauen gilt derzeit im Zeitmanagement als eine der Top-Ressourcen und als der Beschleuniger der Zukunft. Wenn sie feststellen, dass ein Geschäftspartner vertrauenswürdig ist, dass sein Wort zählt, dass er zuverlässig und ehrlich ist, – wie sehr wird dadurch die Zusammenarbeit erleichtert! Dies wird immer wesentlicher in einer sehr schnell und manchmal gefährlich hektisch gewordenen Zeit.
Es ist nicht zu spät!
Zuletzt eine gute Nachricht: Ethische Intelligenz kann man lernen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir viele wesentliche Faktoren für ein ganzheitlich erfolgreiches Leben kennen gelernt. Wir haben fleißig studiert und uns weiter entwickelt. Doch gerade auch die Wiederentdeckung dieser Dimension des Lebens macht deutlich, Charakterbildung kann und sollte ein lebenslänglicher Teil unseres Strebens und Investierens sein.
Das Lexikon für Theologie und Kirche bezeichnet Charakterbildung als das Hoch-Ziel menschlichen Strebens. Es gibt also nicht nur Ziele, es gibt Hoch-Ziele. Weil diese eine enorme Wirkung positiv wie negativ auf unser gesamtes Leben haben. Es lohnt sich! Vielleicht nicht immer im Augenblick – denn es gibt Situationen, in denen Sie vielleicht mit Aufrichtigkeit und christlichen Maßstäben den Kürzeren ziehen, aber langfristig … Probieren Sie es selbst.