‚Führungskompetenzen kann man erlernen’, versprechen Trainer und Management Coaches. ‚Man muss für Führung geboren sein’, suggerieren Persönlichkeitstests und Auswahlverfahren. Was stimmt?

Thorsten Leiner, geb. 1962, verheiratet mit Andrea, 3 Kinder, Dipl.-Kfm., ist Gründer und Leiter des Instituts für Leadership Competence in Kitzingen, welches in Kooperation mit der Universität Bremen Führungskräfte entwickelt. Seit 1997 als freier Trainer spezialisiert Führungskräfteentwicklung.
„Den Charakter eines Menschen erkennt man erst dann, wenn er Vorgesetzter geworden ist“; diese Aussage stammt von dem deutschen Schriftsteller Erich Maria Remarque (1898-1970).
Sie sagt zwar nichts darüber aus, ob Führung erlernbar ist oder nicht, wohl aber, welche menschlichen Qualitäten bei einer Führungskraft zu Tage treten können. Zweifellos war beispielsweise Napoléon Bonaparte ein genialer Feldherr und Stratege, aber war er deshalb auch eine gute Führungskraft? Wie stand es um sein Verantwortungsgefühl für seine Soldaten, wenn er nach geschlagener Schlacht über das Schlachtfeld ging und über die Gefallenen verächtlich als „nichts weiter als Menschenmaterial“ sprach?
Führungskräfte interessiert der Mensch
Es erscheint sinnvoll hier eine Definition von Führung heranzuziehen, um der Frage näher zu kommen, ob man Führen lernen kann. Der Innsbrucker Professor für Unternehmensführung und Autor des Standardwerkes „Leadership“, Hans H. Hinterhuber bietet folgende Definition an: „Die Grundaufgabe von Führung ist, sich für Menschen zu interessieren, ihnen zu helfen, sich zu entwickeln, ihr maximales Leistungspotenzial zu erreichen und sie anzuregen, vielleicht etwas höher zu streben, als sie es selbst für möglich halten.“ Hinterhuber erklärt auch, was Führungskräfte brauchen: „Eine große Energie, aber auch Respekt und Ehrfurcht vor Menschen. Leadership und aufrichtiges Interesse für die Menschen gehören zusammen.“
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Es geht also bei Führung nicht nur um das Erreichen von großen Leistungen und Taten, auch wenn sich viele Führungskräfte gerne selbst ein Denkmal setzen wollen, um so der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben. Es geht vielmehr darum, wie ich als Führungskraft meine Umwelt wertschätze und präge. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das Wort Charakter im griechischen ursprünglich die Bedeutung eines Prägestempels für Münzen und Siegel sowie für das Geprägte selbst hatte. Im übertragenen Sinn benennt der Charakter einer Führungskraft die Ausprägungen einer Person und die Auswirkungen, die sie im Sinne des Vorbildcharakters auf andere Menschen hat.
„Engpass“ der Führungskompetenz
Führungskompetenz setzt sich aus Charaktereigenschaften, Kommunikationsfähigkeit, Konsequenz und Fachkompetenz zusammen. Wer charakterliche Schwächen hat, wird im Sinne der oben erwähnten Prägung früher oder später Probleme bekommen. Der Charakter eines Menschen zeigt sich zum Beispiel im Umgang mit anderen Menschen oder auch im Umgang mit Geld bzw. der Einstellung zum Geld. Auch ob man gerne Entscheidungen trifft (Konsequenz), sagt etwas über die Führungskompetenz einer Person aus. Wer sich schwer tut auch mal unangenehme Entscheidungen zu treffen und dafür einzustehen, wird einer Führungsverantwortung nicht gerecht werden können. Insofern stellen der Charakter und die Konsequenz einer Person den „Engpass“ bei der Frage nach ihrer Führungskompetenz dar.
Erlernbare Kompetenzen
Soziale Kompetenzen wie etwa Kommunikations- und Konfliktfähigkeit dagegen kann man gut entwickeln und sich Fachkompetenz durch Wissen und Erfahrung aneignen. Führungskräfte, die Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen beheben möchten, benötigen allerdings Zeit dafür. Mit einem zweitägigen Seminar zum Thema Konfliktmanagement ist es da nicht getan. Ein Teilnehmer unserer Leadership Ausbildung zum Beispiel hatte Schwierigkeiten, seinen eigenen Standpunkt durchzusetzen und Konflikte auszuhalten. Durch begleitendes Coaching und Training von praktischen Alltagssituationen wurde der Teilnehmer sicherer und lernte, sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und diese auch mit Nachdruck mitzuteilen.
Umgang mit den eigenen „Engpässen“?
Heißt das nun, dass Führung doch genetisch bedingt ist oder zumindest eine gewisse Veranlagung vorhanden sein sollte, wenn Charakter und Konsequenz wesentliche Bestandteile der Führungskompetenz sind? Die Bibel sagt über den Menschen, dass er nicht tugendhaft zur Welt kommt, sondern durch Einsicht über seine Schwachstellen und Untugenden die Möglichkeit zur Umkehr und damit zur Veränderung hat. Durch die Gegenwart Gottes in unserem Leben haben wir die Möglichkeit uns aufzeigen zu lassen, in welchen Bereichen wir Veränderung brauchen. Dieses Selbst-Bewusstsein ist der erste Schritt im Prozess einer charakterlichen Veränderung. Das ist es wohl auch, was Paulus meint, wenn er im 1. Brief an Timotheus, Kap. 6,12 vom „guten Kampf des Glaubens“ spricht. Es ist allerdings gut zu wissen ist, dass wir diesen Kampf nicht alleine bestehen müssen: Gottes Geist ist mit uns und hilft uns im Umgang mit den eigenen „Engpässen“. Hier ist z.B. auch eine ganz praktische Begleitung durch einen erfahrenen Coach im Arbeitsalltag einer (angehenden) Führungskraft eine wesentliche Unterstützung.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass gute Führung stark von persönlichen Merkmalen geprägt wird. Diese können aber durchaus über einen Prozess der bewussten Veränderung in Richtung gesunder Führungskompetenz entwickelt werden.
[1] Beide Zitate aus: Wie geht Leadership? Wolf Lotter, Brandeins 02/2006