Die erfahrenen Ehetherapeuten erklären, wie Ehe gelingen kann und was sie gefährdet.
Menschen verändern sich. Spürbar wird dies vor allem auch in Beziehungen, die sich über viele Jahre und in Alltagsbelastungen bewähren müssen. Insbesondere gilt es für Paarbeziehungen, d.h. die Gemeinschaft von Mann und Frau, die von Gott her Wertschätzung, Vertrauen, Liebe und Sexualität einschließt. In ihren Seminaren befassen sich Dr. Wilf Gasser und seine Frau Christa intensiv mit gelingenden Paarbeziehungen.
VOICE: Sie sehen drei Phasen in der Beziehung eines Paares. Können Sie sie kurz beschreiben?
Wilf Gasser: Die erste Phase der Verliebtheit hilft uns, die Brücke zu einem völlig andersartigen und fremden Wesen überhaupt schlagen zu können. In dieser Zeit ist es wichtig, der emotionalen Entwicklung – wir nennen das Herzensebene – genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Heute steht oft die sexuelle Beziehung – die körperliche Ebene – schon ganz am Anfang einer Beziehung, was für die Entwicklung von Nähe und Intimität in der Regel hinderlich ist. Bei jungen Paaren besteht die Gefahr, dass sie mangelnde Herzensnähe mit erotischem Kitt zu kompensieren versuchen. Damit kann man sich ein Gefühl von Nähe vorgaukeln. Irgendwann fliegt die Lüge aber auf. Oft folgt dann eine Phase der Ent-Täuschung, wo wir beginnen das idealisierte Gegenüber in einem realistischeren Licht zu sehen. Man fängt an zu kritisieren, möchte den anderen „erziehen“, um ihn den eigenen Vorstellungen anzupassen. Wir haben dazu ein treffendes Cartoon. Da sagt Frau Frosch zu Herrn Frosch: „Als ich dich küsste, dachte ich, du würdest dich in einen Prinzen verwandeln – und nicht mich in einen Frosch...!“ Drittens gibt es die Phase der reifen Liebe, wo nicht mehr die Suche nach den eigenen guten Gefühlen im Vordergrund steht. Reife Liebe bedeutet, dass ein Mensch gelernt hat sich an den Partner / die Partnerin zu verschenken. Der gemeinsame Weg ist dann geprägt von Achtung, Respekt und Liebe.
VOICE: Was sind denn die typischen „Beziehungskiller“, und stimmt es, dass Kinder die Beziehung belasten?
Wilf Gasser:Schwierig wird es immer dann, wenn die Wertschätzung für den Partner oder die Partnerin nachlässt und man die Unterschiedlichkeit nicht akzeptieren will. Was man in der Phase der Verliebtheit als „tolle Ergänzung“ sah, ist nicht mehr attraktiv, sondern wird lästig. Ehepartner empfinden dann die persönlichkeitsbedingte Reaktion des Anderen als böswillig und reagieren entsprechend negativ. Die Folge ist oft ein schrittweiser innerer Rückzug voneinander. Wohlwollen und Liebe nehmen ab, und das wirkt sich dann meist auch auf die sexuelle Beziehung aus.
Auch Unversöhnlichkeit oder (versteckte) Aggression sind sichere Intimitätskiller. In unseren Seminaren sprechen wir immer davon, wie wichtig eine „Kultur der Versöhung“ ist.
Eine weitere häufige Falle sind Machtkämpfe. Vielen Paaren geht es nur darum, Recht zu haben. Aufgrund der eigenen Logik und Wahrnehmung fühlt sich ja jeder im Recht. Es gibt aber in jeder Konfliktsituation zwei Realitäten. Wir müssen lernen, die Empfindungen und Reaktionen des Anderen zu respektieren und seine Gefühle oder Überlegungen zu verstehen. Ich kann die Sache ja ganz anders sehen, aber ich darf das Empfinden des Anderen nicht abwerten oder gar bekämpfen. Oft versuchen wir in solchen Situationen mit Druck „unser Recht“ durchzusetzen, und wollen dadurch Veränderung erzwingen. Aber kaum jemand verändert sich unter Druck zum Guten hin...
Christa Gasser: Kleinkinder sind für die meisten Eltern eine große Herausforderung. Man hat einfach weniger Zeit füreinander. Oft leidet darunter auch die sexuelle Begegnung. Die Mutter deckt vielleicht ihre emotionalen Bedürfnisse ein Stück weit über die Kinder ab, und der Ehemann erlebt das möglicherweise als Konkurrenz. Wenn nun schon vorher eine gewisse Entfremdung stattfand, kann es schwerwiegende Probleme geben.
Wilf Gasser: Es wird auch zu wenig beachtet, dass viele Mütter von Kleinkindern eine „Erschöpfungsdepression“ durchlaufen. Sie hat vielfältige Ursachen, führt aber häufig zu Unzufriedenheit, Versagensgefühlen oder Isolation. Die Frauen projizieren dann ihre negativen Gefühle auf die Paarbeziehung, und machen ihrem Mann entsprechende Vorwürfe. Statt ihn stärker einzubinden, wird er eher aus der Familie ausgeschlossen. Die Mutter bindet sich noch mehr an die Kinder. Der Vater zieht sich aus der Beziehung zurück und konzentriert sich auf die Karriere. Also ein richtiger Teufelskreis. Gute Aufklärung über diese Phänomene durch Hausärzte, Kinderärzte, Seelsorger und Therapeuten könnte vielleicht einige Beziehungen retten, denn über den Problemen wird oft vergessen, dass Kinder ein Geschenk und eine große Bereicherung für die Eltern sind.
VOICE: Was gewährleistet denn eine dauerhaft gute Paarbeziehung und welchen Rat würden Sie unseren Leserinnen und Lesern geben?
Christa Gasser: Es ist nicht möglich, absolut sichere Rezepte für eine erfolgreiche Ehe zu geben, aber man weiß doch recht gut, was Ehen auseinander bringt: Abwertung, Nörgelei und herabwürdigende Kritik. Davon ist oft die zweite Beziehungsphase gekennzeichnet. Wenn es gelingt, trotz der Ent-Täuschung den Respekt voreinander zu bewahren, ist es viel leichter, eine wirklich gute Beziehung zueinander aufzubauen.
Eine Forschungsarbeit hat gezeigt: Paare in einer langjährig guten Beziehung haben sich trotz Ent-Täuschung und unerfüllten Erwartungen den Respekt füreinander und eine gute Prise Idealisierung bewahrt. Konkret könnte er zum Beispiel sagen: „Ihre mangelnde Ordnungsliebe nervt mich zwar richtig, aber ihr Lächeln finde ich einfach immer noch so bezaubernd.“ Oder sie: „Seine Unpünktlichkeit bringt mich echt auf die Palme, aber er ist einfach trotzdem ein Mann, auf den ich mich verlassen kann.“
Wilf Gasser: Wie schon gesagt, Versöhnung und Vergebung sind zentral. Wenn ich mich in 90% der Konfliktfälle im Recht fühle, kann ich mich meist nicht so leicht für meine Fehler entschuldigen. Aber ich kann für meine Reaktion die Verantwortung übernehmen, und ich kann mich dafür entschuldigen, dass ich „Herzensdistanz“ zugelassen habe. Meist fällt es einem der Ehepartner leichter, jeweils den ersten Schritt zu tun. Dieser sollte dies dann auch freudig als spezielle Gabe in der Beziehung einsetzen.
Christa Gasser: Wer Probleme in der Beziehung als normal akzeptiert und ein Leben lang immer wieder in die Ehe investiert, hat gute Voraussetzungen für eine glückliche Paarbeziehung bis ins Alter. Themen der sexuellen Beziehung anzusprechen, lässt sich ebenso üben wie Kommunikation in anderen Lebensbereichen. In einer Zeit, die insgesamt eher egozentrisch ausgerichtet ist, ist es umso wichtiger, die gemeinsame Beziehung – gerade auch in der Sexualität – zu pflegen. Gute Sexualität lebt von Vertrautheit, die gepflegt werden muss. Sie wächst, wenn wir aufeinander zugehen, versöhnt leben und auch Schwieriges, Schmerzhaftes ansprechen.
Wir empfehlen jungen Paaren sehr, sich offen mit Andern über ihre Beziehungsschwierigkeiten auszutauschen, und sich unbedingt eine Mentorbeziehung aufzubauen. Als Christen haben wir zudem den Vorteil, dass wir in allem auch noch die Hilfe Gottes in Anspruch nehmen dürfen und uns auf seine Begleitung verlassen können.
VOICE: Herzlichen Dank. Wir wünschen Ihnen Gottes Segen für Ihre wichtige Arbeit in den Seminaren.