Christen haben einen Auftrag in der Gesellschaft und bekommen von Gott alles, was sie dazu brauchen und zusätzlich persönliche Lebensqualität.
Nicht nur die täglichen Nachrichten machen uns deutlich, dass wir in einer Welt leben, in der Barmherzigkeit keine Rolle zu spielen scheint. Wir erleben es in unserem eigenen beruflichen und oft genug auch familiärem Umfeld: Barmherzigkeit – die aktive, aus Gottes Liebe gespeiste tätige Zuwendung zu unserem Not leidenden Mitmenschen – ist Mangelware. Wer an sich selbst denkt, ist obenauf, die anderen bleiben auf der Strecke. Unterscheiden sich Christen und von dem allgemeinen Trend?
Das Fundament
Barmherzigkeit ist keine Erfindung der Moralphilosophie. Die Bibel zeigt uns sehr deutlich: Gott selbst ist Ursprung der Barmherzigkeit, und Christus der Beweis dafür, dass Gott sich einer verloren gehenden Welt zuwendet. Deshalb feiern wir Weihnachten. Christen haben das Privileg, Gottes unverdiente Gnade im eigenen Leben immer wieder neu zu erfahren. Darum fordert Christus uns auf: „S
eid barmherzig, wie auch Euer Vater barmherzig ist“.
[1] Dieser Auftrag, als Begnadigte selbst Barmherzigkeit zu üben, zieht sich durch das Alte wie das Neue Testament.
Der Auftrag
Für Christus ist tätige Nächstenliebe von erstrangiger Bedeutung. Auf die Frage:
Was muss ich tun um das ewige Leben zu erben? erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.[2] im Gleichnis vom Letzten Gericht[3] lädt er diejenigen in sein Reich ein, die sich den Armen, Schwachen und Benachteiligten zuwenden. Und
In einer westlichen Gesellschaftsordnung, in der der Staat für die allgemeine Wohlfahrt und Fürsorge für die „Armen“ zuständig ist, hat für viele Christen die Bedeutung der tätigen Zuwendung zum Not leidenden Mitmenschen stark an Bedeutung verloren. Die Globalisierungsverlierer vor unserer eigenen Haustüre jedoch stellen insbesondere Christen vor die Herausforderung,konkrete Antworten auf soziale Notlagen zu finden. „Künftig wird man Christen daran erkennen, dass sie mit den Menschen, die nichts haben, teilen – oder man wird sie gar nicht mehr erkennen“ (Ulrich Parzany). Und wir müssen uns dabei nicht auf die materielle Armut beschränken; viel Not in unserer Gesellschaft entsteht durch Vereinsamung, Beziehungslosigkeit und soziale Verwahrlosung.
Die Ausrüstung
Wen Gott beauftragt, den begabt er auch. Es geht ja nicht darum, durch gute Werke die Erlösung zu „erarbeiten“. Vielmehr ergibt sich der Auftrag Barmherzigkeit zu üben daraus, dass wir selbst Gottes Barmherzigkeit erfahren (haben): Ein Geschenk Gottes, das sich vervielfältigt, wenn wir es weitergeben. Die notwendige Ausrüstung zur tätigen Barmherzigkeit ist in erster Linie „Christus in uns“, der Heilige Geist.Geben wir Ihm Raum, können wir unsere Augen vor den Nöten unserer Mitmenschen nicht mehr verschließen. Damit stellt sich nicht mehr die Frage, ob es auch „mein“ Auftrag ist, sondern, wie ich diesen Auftrag erfüllen kann.
Die Verheißung
Ein auf die Liebe Gottes gegründeter barmherziger Lebensstil ist mit vielfältigen Verheißungen gesegnet: „Wer sich des Armen erbarmt, leiht dem Herrn, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat“, lesen wir im Buch der Sprüche, und „ Deine eigene Seele wird genährt, wenn Du barmherzig bist“. Die Zuwendung zum hilfsbedürftigen Nächsten setzt einen Segenskreislauf in Bewegung, von dem auch der Geber erfasst wird – nicht zuletzt dadurch, dass Prozesse der inneren Heilung ablaufen. Und die größte Verheißung: Sowohl die Seligpreisung im Matthäusevangelium 5,7 als auch die bereits erwähnten Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom letzten Gericht zeigen, dass Gottes Barmherzigkeit denjenigen erwartet, der selbst tätige Barmherzigkeit übt.
Die Hindernisse
Warum fällt es uns dennoch oftmals so schwer, auf diejenigen zu zugehen, die unserer Zuwendung bedürfen? Es hat viele Gründe: Die vielfältigen Anforderungen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, Mangel an Zeit, das Gefühl der Überforderung angesichts so vieler Nöte, oder auch die Überzeugung, dass das Sorgen um das geistliche Wohl unserer Mitmenschen ohnehin vorrangig sei. Außerdem kostet es Überwindung, in einer Gesellschaft, die lehrt, dass jeder sich selbst der Nächste ist, die eigenen Interessen hintanzustellen, um sich der Not anderer zuzuwenden
Und schließlich sind wir manchmal der irrigen Meinung, wir müssten selbst erst innerlich heil werden, bevor wir uns hilfsbedürftigen Menschen zuwenden können; in Wahrheit tragen wir gerade durch die Zuwendung zum Nächsten zu unserem persönlichen Heilwerden bei. Klar ist jedoch: Ein „barmherziger Lebensstil“ hat einen Preis, er entspricht nicht unseren natürlichen Instinkten.
Die Herausforderung
In den oben erwähnten Gleichnissen gelten keine Ausflüchte mehr. Angesichts der Bedeutung, die in Gottes Augen die aktive Zuwendung zu Menschen in Not hat, können wir uns dem Auftrag Gottes nicht mehr verschließen. Könnte es sein, dass sich heute so wenige Zeitgenossen für die Gute Nachricht von Gottes Barmherzigkeit interessieren, weil sie in der christlichen Lebenspraxis so wenig sichtbar wird? „
Die Menschen sollen Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel preisen“
[4]
Es ist an der Zeit, sich neu dem Auftrag Gottes zur tätigen Barmherzigkeit zu stellen. Angesichts vielerlei Nöte ein „fröhlicher Handlanger Gottes zu sein“, wie Friedrich v. Bodelschwingh sagte. Darauf liegt die Verheißung des Segens Gottes. Christen und Gemeinden, die sich dieser Nöte annehmen, sich den Hilfsbedürftigen zuwenden und auf diese Weise Gottes Barmherzigkeit erfahrbar machen - das ist vielleicht das beste Zeugnis der Liebe Gottes zu dieser Welt.
[1] Lukasevangelium, Kap. 6,36
[2] Lukasevangelium, Kap. 10, 30-37
[3] Matthäusevangelium, Kap. 25, 31-40
[4] Matthäusevangelium, Kap. 5,16