Er hatte sich nach einer schlimmen Kindheit völlig verrannt: Drogen, Alkohol, Kriminalität waren sein Alltag. Bis Gott ihn erneut ansprach – diesmal unüberhörbar deutlich. Heute hilft er anderen und hat ein spannenderes Leben als früher.
In Berlin-Ost, in der DDR, bin ich als erstes von zwei Kindern geboren und in Berlin Köpenick aufgewachsen. Meine Mutter schickte uns schon als kleine Kinder in den Kindergottesdienst, was in der DDR nicht gerade begrüßt wurde. Das Einzige, was mich zu den gläubigen Kindern in die Sonntagsschule zog, waren die Überraschungseier aus dem Westen. Einen lieben Gott lernte ich dort nicht kennen.
Meine Mutter war Fremdsprachenlehrerin. Von meinem Vater weiß ich nur, dass er Handelskaufmann und selten zu Hause war. Er griff zur Flasche, und es dauerte nicht lange und meine Eltern ließen sich scheiden. Da war ich gerade zehn und mein Bruder sieben Jahre alt. Nun musste meine Mutter uns beide alleine durchbringen. Sie hatte wenig Zeit für uns, weil sie täglich bis zum Abend in der Schule war. So waren mein Bruder und ich auf uns selbst angewiesen.
Mit 15 Jahren unterwegs als Punk
In der Schule war ich der Klassenclown. Schon damals wollte ich unbedingt auffallen und stänkern. Den Abschluss der zehnten Klasse habe ich gerade mal so geschafft. Ich hasste die Schule. In der Freizeit, in der andere Schüler Arbeitsgemeinschaften besuchten oder Hausaufgaben machten, fuhr ich zum Alexanderplatz, um irgendwelche Abenteuer zu erleben. So lernte ich einige Punks kennen und war 1978, mit 15 Jahren, ein Mitbegründer der ersten Punkbewegung in der DDR. Den artigen DDR-Bürgern und FDJlern bot sich ein Bild des Schreckens, wenn wir mit eingewachsten bunten Haaren und zerrissenen Klamotten gegen den Staat wetterten. Wir sahen uns als echte Staatsfeinde.
Zur gleichen Zeit machte ich Bekanntschaft mit Fußballfans eines in der DDR und Ostberlin unbeliebten Clubs. Sofort fing ich Feuer! Ich lernte schnell die Krawall stiftende Gruppe dieses Clubs kennen und an den Wochenenden kam es zu Ausschreitungen mit anderen Fußballfans. Meistens waren wir die Gewinner, aber es kam auch vor, dass ich mit gebrochener Nase oder einem zugeschwollenen Auge nach Hause kam. Schlägereien, Alkohol und Hass prägten meine Jugend.
Mit 17 im Gefängnis
Ich war noch nicht mal 17 Jahre alt, als bei einer Hausdurchsuchung der Stasi von mir verfasste staatsfeindliche Texte, Tonbänder und Honeckerkarikaturen gefunden wurden und ich für ein Jahr in ein so genanntes „Jugendhaus“ kam. Das war ein Schock! Es war die schlimmste Zeit überhaupt. In diesem Jugendgefängnis ging es hart zur Sache. Plötzlich waren da keine Kumpels mehr. Ich war allein unter Mördern, Vergewaltigern und Perversen. Ich passte mich den Typen an, die dort einsaßen und wurde zu einem Menschenhasser.
Wieder „frei“ – als Hooligan
Aber auch diese Zeit verging. Kaum entlassen, schloss ich mich wieder meinen alten Kumpels an. Ich war erfüllt von Hass auf den Staat, Hass auf andere Fußballfans, Hass auf die Polizei, sogar Hass auf mich selbst. Weiterhin fuhr ich jedes Wochenende zu Fußballspielen, immer in der Hoffnung auf Schlägereien und Gewalt.
Anfang der 90er Jahre kam es wegen des Mauerfalls in Ostberlin bei der Polizei und anderen Behörden zu anarchistischen Zuständen. Alles ging drunter und drüber. Diese Gelegenheit nahm ich wahr, um mich als Hooligan richtig in Szene zu setzen. Die Polizei, diese Kommunisten, hatten plötzlich Angst vor der eigenen Bevölkerung. Fußballspiele in den neuen Bundesländern wurden zu Sammelbecken Streit suchender Gewalttäter. Hauptsächlich wurde gegen die Polizei gekämpft. Ich, in vorderster Reihe, mit dabei. In den Jahren von 1990 bis 1996 stand ich sehr oft vor dem Richter. In dieser Zeit schloss ich mich der rechten Skinheadszene an. Mir gefiel das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Skins und der Polizei.
Abhängig von Drogen und Alkohol
Skinheadkonzerte waren das Größte für mich. Hier konnte man den Staat provozieren. Dass dieser Staat jetzt BRD hieß und nicht mehr DDR, war mir egal. Durch den Umgang mit den rechten Skinheads formte sich mein Weltbild tatsächlich zu dem eines Neonazis. Selbst bei Aufmärschen in Dänemark und Schweden marschierte ich mit. Parallel dazu immer noch Fußballkrawalle und Alkohol.
Da bot sich Ende der 90er Jahre die Möglichkeit, mit alten Kumpels eine Kneipe zu eröffnen. Ich war Feuer und Flamme. Ich stand hinterm Tresen und füllte die Fußballhorden der Reihe nach mit Alkohol ab. Die Partys dauerten immer länger. Zu dem vielen Alkohol konsumierte ich später auch Drogen. Zuerst bemerkte ich es nicht, doch dann wurde mir bewusst, dass ich abhängig war. Immer mehr geriet ich in den kriminellen Sumpf. Es gab Nächte, in denen ich nach dem Sinn des Lebens fragte. Irgendwie spürte ich jedes Mal, wenn es mir dreckig ging, dass es da draußen noch etwas gab, das mich retten könnte. Gab es einen Gott?
Die Biker Bibel
Gott hatte mir oft in meinem Leben seine Hand gereicht, doch ich hatte ihm jedes Mal eine Absage erteilt. Aber er ließ nicht locker. Es geschahen die wundersamsten Dinge. Eines Tages bekam ich die Einladung zu einem Motorradtreffen. Dort lief es ähnlich ab wie in der Fußball- oder Skinheadszene: viel Alkohol, laute Musik. Als ich angetrunken am Biertisch saß, sah ich zwischen all den kaputten Gestalten einige Rocker mit einem riesigen gelben Kreuz auf der Weste. Ich sprach einen von ihnen an. Sie erzählten mir, sie seien Christen und luden mich in ihr Zelt ein. Dort hörte ich von ihren persönlichen Erfahrungen mit Gott. Es war, obwohl ich angetrunken war, ein unvergessener, herzlicher Abend, der mit einem gemeinsamen Gebet endete. Einer von ihnen gab mir zum Abschluss eine „Bikerbibel“. Zu Hause stellte ich sie zu meinen anderen Büchern.
Gott lässt nicht locker
Es verstrichen weitere Monate in der Kneipe. Gott berührte mich in immer kürzeren Abständen. Doch ich versuchte, ihn in Drogen und Alkohol zu ersäufen. An manchen Sonntagen zappte ich, noch verkatert, durch die Fernsehlandschaft. Immer wieder blieb ich auf NBC hängen. Sonntags, um 12.30 Uhr, lief dort die „Fernsehkanzel“. Ohne dass es mir bewusst war, wurde diese Sendung zu meinem Pflichtprogramm. Ich stellte mir sogar den Wecker, wenn ich erst in den frühen Morgenstunden vom Kneipendienst nach Hause kam, um die Predigt nicht zu verpassen.
Die Kneipe lief nicht besonders gut, sodass ich nach einer weiteren Einkommensquelle Ausschau hielt. Ein gerissener Kumpel kam mir da gerade recht, der mir riet, mich auf Kosten des Staates und der Krankenkassen krankschreiben zu lassen, um das Krankengeld zu kassieren. Dazu war es notwendig, mindestens ein Jahr krankgeschrieben zu werden. Wir fanden heraus, dass das nur aufgrund psychosomatischer Erkrankung möglich war.
Vorgetäuschte Depression
Ich informierte mich über das Krankheitsbild einer klassischen Depression und erfand eine dazu passende Geschichte. Anfangs lief alles glatt. Zehn Monate lang besuchte ich zahlreiche Therapeuten, doch dann verweigerte mir die Krankenkasse auf einmal weitere Zahlungen. Für unser Vorhaben war es jedoch notwendig, ein ganzes Jahr krankgeschrieben zu sein. Mein behandelnder Psychologe empfahl mir eine psychosomatische Kur zu beantragen, deren Bewilligungszeitraum mindestens sechs Monate in Anspruch nehmen würde.
Wer mit dem Wesen der deutschen Bürokratie vertraut ist, wird den Schock nachvollziehen können, den ich bekam, als der Bewilligungsbescheid schon nach einer Woche in meinem Briefkasten lag. Jetzt wurden mir die Ausmaße meiner Inszenierung bewusst: Ich musste diese Kur antreten! Das bedeutete, dass ich mindestens sechs Wochen für die Kneipe nicht zur Verfügung stehen würde. Mein Geschäftspartner war strikt dagegen, doch ich setzte mich durch und trat die Reise an. Eine Reise, die mein Leben von Grund auf verändern sollte.
Ich begann zum ersten Mal, die Bibel zu lesen
In meinem Reisegepäck hatte ich auch die Bikerbibel. Im Zug begann ich darin zu lesen. Als ich aus dem Zug stieg, war mir bewusst, dass ich die nächsten Wochen in die Rolle eines manisch-depressiven Menschen schlüpfen und den Ärzten, Therapeuten und Mitpatienten eine Lüge vorspielen musste. In der Bibel, die ich im Zug gelesen hatte, stand, dass Jesus rettet. Ohne länger nachzudenken, betete ich zu Gott, er möge Regie über die nächste Zeit führen.
Ich verstellte mich, so gut ich konnte und alle nahmen mir meine Depression ab. Nach zwei Wochen begann ich mich immer unwohler in meiner Haut zu fühlen. Um mir die Zeit zu vertreiben, besuchte ich sonntags die freie evangelische Gemeinde der Stadt. Ich trieb eine Menge Sport und ging viel spazieren. Abends kam es vor, dass ich in der Bibel blätterte. Mir wurde immer bewusster, wie tief ich im Dreck steckte. Ich erkannte, dass das Fundament meines Lebens aus Selbstsucht und Lügen bestand.
„Los, Jesus, zeig dich mir!“
Am Donnerstag, dem 21. 11. 2002, verließ ich die Klinik gegen Mittag, um einen weiten Spaziergang zu machen. Ich schlug einen neuen Weg ein, der mich in einen Wald führte. Hier forderte ich Gott heraus: „Jesus, wenn es dich wirklich gibt, dann hast du jetzt die Möglichkeit, dich mir vorzustellen. Jetzt, hier, in diesem menschenleeren Wald, ohne Zuschauer.“ Ich beschloss, so lange durch den Wald zu laufen, bis Jesus sich mir zeigen würde. Während ich einen Berg hinaufwanderte, forderte ich Jesus zum zweiten Mal heraus. „Los, Jesus, zeig dich mir“, rief ich in den Himmel. Ich lief den Berg immer weiter hinauf. „Wo bist du? Oder glauben Millionen von Menschen an ein Hirngespinst?“
Oben angekommen, sah ich ein riesiges Anwesen, das aussah wie ein Schloss oder Herrenhaus. Ich stand vor einem großen Schild, auf dem „Glaubenszentrum“ stand. Ich war auf dem Gelände einer Bibelschule. Ich zitterte und fragte mich: „Ist das die Antwort?“ Wie in Trance nahm ich ein Traktat aus einem Holzkasten, der am Tor angebracht war, das Heft von Reinhard Bonnke „Vom Minus zum Plus“. Während ich langsam Richtung Stadt lief, fing ich an zu lesen.
„Bist du Jesus?“
Ich hörte nichts, keinen Schritt, keinen Ton, ich las das Heft. Plötzlich tippte mich jemand an. Verwirrt drehte ich mich um. Da stand er: Jörg. Ich rechnete mit allem, dennoch riss mir die nun folgende Frage den Boden unter den Füßen weg: „Suchst du wen?“ Was für eine Frage zu diesem Zeitpunkt! Ich wagte nicht zu sagen, dass ich auf der Suche nach Jesus war. Das wäre ja lächerlich! Völlig gelassen sah er mir direkt in die Augen und sagte: „Ich glaube, du bist auf der Suche nach Gott.“ Alles stand still. Das saß! Völlig verdattert entgegnete ich: „Bist du Jesus?“ Jörg grinste und antwortete: „Nein, aber ich habe einen guten Draht zu ihm.“
Wenn ich heute an diesen Dialog denke, bin ich froh, dass nur Jörg und Jesus dabei waren. Nachdem wir uns einander vorgestellt hatten, lud Jörg mich zu einem „dynamischen“ Gottesdienst in der nächsten Woche ein.
Endlich angekommen
Ich musste mich erst einmal setzen. Auf einer Parkbank las ich das Traktat zu Ende und fand. auf der letzten Seite das Übergabegebet. Mir war vollkommen klar, dass ich vor der Entscheidung meines Lebens stand. Bewusst und überzeugt betete ich um 14.55 Uhr das Übergabegebet. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern ganze drei Mal.
In diesen wenigen Minuten lief mein gesamtes bisheriges Leben wie ein Film vor meinen Augen ab. Ich sah alle Menschen, denen ich wehgetan hatte. Ich sah einen von mir zusammengetretenen Fußballfan blutüberströmt auf dem Alexanderplatz. Mir wurden sämtliche Verbrechen und Gemeinheiten vor Augen geführt, die ich begangen hatte. Mich überkamen Schuldgefühle und Ekel. So viele Menschen mussten unter mir leiden! Konnte Gott das alles vergeben? Konnte ich das alles am „Kreuz von Golgatha“ abwerfen? Ja, ich konnte. Ja, ich durfte. Und ich tat es. Ich heulte Rotz und Wasser. Endlich war ich angekommen. Der Himmel öffnete sich. Danke, Herr!
Gott ruft jeden persönlich
Jeder Christ hat seine eigene Begegnung mit Gott, jeder seine eigene dramatische oder weniger dramatische Geschichte. Bei dem einen dauert der Veränderungsprozess länger, beim anderen kürzer. In meinem Fall änderte sich mein Weltbild von einer Minute auf die nächste. Eine radikale Umkehr. Ich war ein neugeborener Mensch. Alles, was vor dem 21. November 2002 um 14.55 Uhr gewesen war, gehörte zu dem alten Olli.
Auf einmal hatte ich einen Sinn für die Natur. Die Berge, die Bäume, die Wiesen, alles war so fantastisch von Gott erschaffen. Darüber hinaus spürte ich den Drang, mich in die Bibel zu vertiefen. Ich musste diesen Jesus kennen lernen, dem ich soeben mein Leben übergeben hatte! Ich hatte endlich die Chance ergriffen, die Gott mir schon mehrfach gegeben hatte und heute weiß ich: Es war die beste Entscheidung für mein weiteres Leben!