Interview mit Alois Glück

Unterwegs in die Zukunft

Interview mit Alois Glück, dem Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und früheren Bayerischen Landtagspräsidenten zum Beitrag der Christen für die Gesellschaft.



Alois Glück, geb. 1940, verh., 2 Kinder, übernahm früh Verantwortung für den elterlichen Hof und wurde Landwirt. Weiterbildung in Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. 1970 – 2008 Mitglied des Bayer. Landtags, u. a. 1986-88 Staatssekretär, 1988-2003 Vors. der CSU-Landtagsfraktion, 2003-08 Landtagspräsident, seit November 2009 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Buchautor und gefragter Referent zu politisch-gesellschaftlichen Themen.
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VOICE: Sie gelten weit über die deutschen Grenzen hinaus als Vordenker moderner, zukunftsfähiger Gesellschaftsformen. Was ist der Kern der „Aktiven Bürgergesellschaft“ und der „Solidarischen Leistungsgesellschaft“?
 
Alois Glück: Der Kern aller meiner gesellschaftspolitischen Überlegungen und Konzepte ist eine Kultur der Verantwortung. Viele Fehlentwicklungen sind darauf zurückzuführen, dass der Anspruch auf Freiheit und Selbstbestimmung getrennt wurde von der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für sein eigenes Leben und für sein Handeln. Wir brauchen eine Kultur der Verantwortung, die einschließt Verantwortung zu übernehmen für die Menschen, für das Gemeinwesen und für die Folgen unseres Tuns und unserer Unterlassungen im Hinblick auf die Nachkommen und die gesamte Gesellschaft. In der „Aktiven Bürgergesellschaft“ entwickelt sich eine neue Verantwortungsgemeinschaft zwischen Bürger und Staat, in der „Solidarischen Leistungsgesellschaft“ die Verbindung einer neuen Leistungskultur mit einer neuen Sozialkultur.
 
VOICE: Eine in Amerika erschienene Studie belegt, dass sich gläubige Christen dort überdurchschnittlich in Ehrenämtern engagieren und z.B. durch hohe Wahlbeteiligung demokratische Strukturen stützen. Was können Christen beitragen, damit Europa zukunftsfähig wird?
 
A. Glück: Die Grundvoraussetzung ist zunächst, dass die Christen nicht nur eine individualistische und auf das eigene „Heil“ fixierte Spiritualität leben, sondern sich mitverantwortlich fühlen für die Mitmenschen und für die Aufgaben unserer Zeit; dass sie gestaltende Kraft entwickeln aus dem Glauben und aus ihrer Verantwortung als Christen. Gesinnung und Überzeugung allein reichen aber nicht. Es muss die Bereitschaft hinzukommen, sich in zunehmend komplexen „Sachverhalten“ auch sachkundig zu machen, damit Gesinnung und Kompetenz miteinander verbunden sind. Wir müssen vor allem bereit sein in einer offenen pluralen Gesellschaft in die notwendigen geistigen Auseinander­setzungen unserer Zeit hineinzugehen.
Die Chancen für christliche Werte sind heute größer als vor zehn Jahren. Die Religion hat einen neuen Stellenwert, weil viele Menschen jetzt instinktiv spüren, dass es über reine Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit hinaus eine andere Orientierung und Grundlage für das Leben geben muss. Unser Problem ist nicht, dass christliche Werte von der Mehrheit von vornherein abgelehnt werden, unser „Engpass“ ist, dass wir zu wenig Christen haben, die sich auch mit entsprechender Kompetenz und entsprechendem Engagement einbringen. Wir leben in einer Umbruchzeit, in einer Übergangszeit. Die Schwächen unserer bisherigen Art zu leben werden immer deutlicher, der Korrekturbedarf ebenso. Hinzu kommen viele neue Herausforderungen wie die Klimaproblematik, die Energieversorgung, die wachsende Knappheit der Ressourcen und anderes mehr. Wir müssen lernen, globales und lokales Denken miteinander zu verbinden. Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig! Deshalb heißt die Aufgabe: eine zukunftsfähige Kultur zu entwickeln. Dafür haben wir Christen viel einzubringen.
 
VOICE: In Ihrem Buch „Warum wir uns ändern müssen“ spürt man ernsthafte Besorgnis über den Zustand unserer Gesellschaft. Ist unsere christlich-abendländische Kultur, die Europa prägte, noch zu retten? Gibt es weiterhin Platz für christliche Lehre und Erziehung, oder ist der Widerstand gegen Kreuze im Klassenzimmer der neue „Trend“?
 
A. Glück: Die These, dass christliche Werte heute mehr Chance haben als vor zehn Jahren, mag überraschen, aber verunsicherte Menschen, eine verunsicherte Gesellschaft entwickeln eine neue Offenheit. Neueste Ergebnisse der Sozialforschung sprechen dafür, dass nach dem Wertewandel zum Individualismus nun wiederum ein Wertewandel mit Wertschätzung der Gemeinschaft, des WIR begonnen hat. In Krisenzeiten erkennen die Menschen wieder mehr die Bedeutung stabiler Gemeinschaften und der Familie. Nach einer neuesten Umfrage stimmen 90 % der Bundesbürger der Formulierung zu: „Was auch immer auf uns zukommt, für mich ist und bleibt die Familie immer das Wichtigste im Leben“ und 86 % (!) der 14 bis 34-jährigen denken so.  
Aber natürlich müssen wir uns darauf einstellen, dass es in einer offenen Gesellschaft immer geistige Auseinandersetzungen geben wird und dass wir uns mit einer Glaubwürdigkeit ausstrahlenden Haltung, eindeutig in der eigenen Position, ohne belehrend zu sein, dieser geistigen Auseinandersetzung stellen müssen. Das Bemerkenswerte ist: Krisen bewirken Veränderungen in den Wertprioritäten der Menschen. Das ist für uns eine besondere Chance!
 
VOICE: „Islamphob“ nennen die Medien immer häufiger Menschen, die das Auftreten mancher islamischer Gruppen nicht jubelnd als „Bereicherung“ begrüßen. Sie haben einmal darauf hingewiesen, dass Moscheen nicht zwangsläufig auch Minarette haben müssen. Sehen Sie die Zunahme von Muslimen in Europa mit Sorge?
 
A. Glück: Die Zunahme der Muslime ist nicht das Problem, wir dürfen ja nicht jeden Muslim von vornherein als verdächtig und unzuverlässig einstufen. Eine sehr umfangreiche Untersuchung zeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland unsere Werteordnung und unsere Rechtsordnung schätzen, auch als Chance für ihre eigene Lebensentwicklung. Unser Staat garantiert allen Menschen Religionsfreiheit, die Religionsfreiheit hat aber auch ihre Grenze, wenn damit Regeln unseres Zusammenlebens, die in unseren Gesetzen verankert sind, verletzt werden. Hier muss dann auch entschieden gehandelt werden. Erst recht gilt das für den politischen Islam, die Islamisten. Die Situation ist hochnervös. Dabei ist ein besonderes Problem, dass wir eine über die eigene Kultur und Werte verunsicherte Gesellschaft sind. Wer in den Prolog mit einer anderen Religion und Kultur eintreten will, muss zunächst seine eigene kennen und schätzen.
 
VOICE: Sie treten immer wieder eindeutig für umfassenden Lebensschutz ein. Lässt sich die Negativspirale bei der Aufweichung des Lebensschutzes noch stoppen oder müssen wir zugeben, dass die Würde des Menschen eben doch nicht mehr unantastbar ist?
 
A. Glück: Zunächst möchte ich festhalten, dass in kaum einem anderen Land in Europa um den Lebensschutz so ernsthaft gerungen wird wie bei uns. Wir bewegen uns angesichts der Entwicklungen in den Wissenschaften auf einem immer schmaleren Grat zwischen segensreicher Möglichkeit der Hilfe für Menschen und Manipulation des Menschen, Verzweckung. Wir dürfen die Würde des Menschen nicht nur auf die zentrale Frage des Lebensschutzes fixieren, es geht noch weit umfassender um die Würde des Menschen in allen Lebensbereichen dieser modernen Welt. Die größte Gefahr ist die Verzweckung des Menschen.
 
VOICE: In einem Zeitungsartikel zu Ihrem 70. Geburtstag wurden Sie als „Kämpfer für christliche Werte“ bezeichnet. Welche Rolle spielt Ihr Glaube bei Ihrem politischen und gesellschaftlichen Engagement?
 
A. Glück: Der Glaube ist für mich der Kompass für mein persönliches Leben und für mein Engagement. Ich verstehe dies auch als den „Weltauftrag“ der Christen, auch im Sinn der Formulierung von Hans Maier: „Das Christentum hat politisches Handeln rechenschafts­pflichtig gemacht gegenüber Gott und den Menschen.“ Für die Entscheidungen in meinem Leben gilt sowohl im Rückblick wie in den anstehenden Entscheidungen, etwa als es um das Amt des Präsidenten des ZdK ging, was Martin Buber so formuliert hat: „Gott spricht zum Menschen durch die Ereignisse und Menschen, die er ihm in den Weg schickt.“ Dann ist es unsere Sache darauf zu antworten.
 
VOICE: Gab es auch Zeiten in Ihrem Leben, in denen es Ihnen schwer fiel, an Gott zu glauben?
 
A. Glück: Ich hatte nie grundsätzliche Zweifel, aber Lebensphasen, in denen ich kaum eine lebendige Beziehung zu meinem Gott und zu meinem Glauben hatte, in der Alltagsmaschine dahinlebte und mich entfremdete. Für meinen Glaubensweg war entscheidend, dass ich in meiner Jugendzeit Menschen kennen lernte, die mir zum Glauben einen anderen Zugang zeigten, als ich in meiner Kindheit, Jugend und Ausbildung vermittelt bekam. Früher war es mehr Gehorsamsglauben und Gesetzesglauben, mehr Drohbotschaft – Sünde und Hölle – als Frohbotschaft. Wenn ich diese neuen Impulse nicht bekommen hätte, wäre ich meiner Kirche und meiner Religion wahrscheinlich weitestgehend entfremdet.
 
VOICE: Herzlichen Dank. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Schaffenskraft und Gottes Segen.


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